Ist die Welt um mich verwandelt

Über eine vorangegangene Zusammenarbeit der Akkordeonistin Janina Rüger-Aamot mit dem Komponisten Hartmut W. Seidler entstand die Idee, ein größeres Werk, einen Liederzyklus entstehen zu lassen. Einig waren sich alle Beteiligten, dass ein solches Werk unbedingt auch in seiner Notenfassung erscheinen sollte. Denn Zeitgenössische Kammermusik für die ungewöhnliche Besetzung Sopran, Klarinette und Akkordeon ist selten und jedes neue Werk stellt eine Bereicherung auf der Repertoire-Liste dar.

Als Beitrag zur Rezeption sollte außerdem eine Videodokumentation entstehen, die das Werk Interessierten vorstellt.

Um das alles zu realisieren, stellten wir den Antrag auf Förderung im Rahmen von Neustart Kultur.

Überglücklich über die Förderungszusage starteten wir voller Energie in dieses herausfordernde Projekt.

Projekttrailer

Hartmut W. Seidler beschäftigte sich bereits mit den Texten von Ada Christen (1893-1901). Die Schwierigkeit ist, dass ihre Texte so stark sind, dass sie eine Leser:in sofort in die Lebensrealität der Autorin versetzen. Und eben jene ist geprägt davon, wie ihre Umwelt zwar ihr Talent erkennt, jedoch ihr immer wieder Steine in den Weg legt. Sie wird absichtlich verletzt und verunsichert. Man bremst sie aus und doch kann man ihre Gabe nicht einfach ignorieren. Sie sieht sich neben all den Ablehnungen auch falschem Lob und Heuchelei ausgesetzt. So ist die Beschäftigung mit ihr, ihren Texten in jeder Probe auch eine emotionale Herausforderung, die uns auch an und in unseren eigenen Schmerz und zu unseren ganz persönlichen älteren und neueren Wunden führte.

Wir alle bewundern ihre Stärke.

Ada Christen steht heute vor uns als Frau, die vor über 100 Jahren die ihr zugedachte Rolle nicht annahm und eine eigene gestaltete und dafür vieles in Kauf nahm, was ihr Leben schwerer machte.

Aus „Alte Feinde“

Wohl könnt Ihr mäkeln jetzt an Wort und That,
Könnt mich verdammen, seht, es rührt mich nimmer;
Ich hasche nicht nach Eurem feilen Rath
Und morscher Tugend fahlen Moderschimmer!
Ich trachte nimmermehr nach Eurer Lieb‘,
Ich werde liebearm und einsam schreiten,
Doch jene Waffe, die einst fort mich trieb,
Sie wird nun stumpf von meinem Panzer gleiten.
O, ich war elend! – jeder böse Zug
In Euren kalten Larven mahnt mich wieder,
Wie Jeder von Euch tückisch nach mir schlug,
In mir vernichtet meine reinsten Lieder!

Zuerst entstand der letzte Satz des Liederzyklus „Not“. Er spiegelte eine Stimmung die am Anfang des Jahres 2022, in der Entstehungszeit, herrschte.

Not

All euer girrendes Herzeleid
Thut lange nicht so weh,
Wie Winterkälte im dünnen Kleid,
Die bloßen Füße im Schnee.
 
All eure romantische Seelennot
Schafft nicht so herbe Pein,
Wie ohne Dach und ohne Brot
Sich betten auf einen Stein.
 

Die äußere Form des Zyklus illustriert die verschiedensten Ausprägungen der Enttäuschung  wie Unverständnis, Wut, das Fertigwerden mit einer Situation und die ironische Aufarbeitung dessen. Das epilogisches Lied (Nr. 9 „Not“) stellt die außenstehende Sichtweise der vorhergegangen Text-Haltung dar.  

Ada Christen

Ada Christen (1839-1901 Wien) war Blumenverkäuferin und Handschuhnäherin.  

In jungen Jahren kam Sie zum Theater und spielte an deutschen Wanderbühnen.  

1860 entstand ihr erstes literarisches Werk. Sie lebte in armen Verhältnisse und veröffentlichte Gedichte und Erzählungen in Zeitschriften. Bekannt wurde  Christiane von Breden (ihr richtige Name) durch das Erscheinen ihrer erste  Gedichtsammlung  „Lieder einer Verlorenen“ in 1868.  Daraus stammen das Gedichte Nr. 2 „Logik“.   Aus der Gedichtsammlung „Aus der Asche“ (1870) sind Nr. 1,4,6,8 „Alte Feinde I-IV“; Nr. 3 „Zorn“; Nr. 5 „Zu spät“ und Nr.7 „Auf Ruinen“ zu finden. Nr. 9 „Not“ entstammt aus der Gedichtsammlung „Aus der Tiefe“  1878  

Uraufführung, Notenmaterial, Videodokumentation

Die Uraufführung fand am 29.01.2023 in der Hermann-Schwab-Halle in Winnenden statt. Vor ausverkauftem Haus erlebten wir eine sehr nahegehende und emotional aufwühlende Matinee.

Mehr dazu hier:

Notenmaterial

Für die so wichtige Realisierung der Notenausgabe haben wir mit Ralf Kaupenjohann in Essen einen wunderbaren Partner gefunden. Der Liederzyklus erscheint in seinem Verlag AUGEMUS.

Videodokumentation

Der Liederzyklus ist eine emotionale Reise durch die tiefsten menschlichen Empfindungen. Die Texte Ada Christens beschäftigen sich mit dem Leben eine jungen Frau, die sich emotional damit auseinandersetzt, wie ihre Umwelt mit ihr umgeht. Eine Frau, die sie eigentlich nur eines sein möchte: sie selbst.
Sie beleuchtet ihre Empfindungen, wenn aus Ablehnung seltsame Freundlichkeit wird. So erfasst sie die menschliche Psyche in ihrer zerbrechlichsten Form und zeichnen ein Bild von innerem Schmerz, der sich oft hinter einer Fassade aus Stärke verbirgt.

Wir danken allen, die mit uns gemeinsam am Gelingen dieses Projektes gearbeitet haben:
natürlich zuerst Hartmut W. Seidler für seine unglaubliche musikalische Ausdruckskraft,
Ralf Kaupenjohann für seine feinsinnige Umsetzung des Werkes in seine Notenausgabe,
Thomas Küsters für die Videodokumentation,
den Mitarbeitenden der Schlossmatinee Winnenden, die uns eine besondere Uraufführung ermöglicht haben,
unseren Familien und Freunden, die uns durch diese intensive Zeit begleitet haben,
und selbstverständlich NEUSTART KULTUR für die unschätzbar wertvolle Förderung!

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